Fremde Feinde by Helmut Ortner

Fremde Feinde by Helmut Ortner

Autor:Helmut Ortner [Ortner, Helmut]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Nomen
veröffentlicht: 2016-01-15T00:00:00+00:00


Jetzt wurde Williams ungeduldig. »Ist es nun dieser Mann dort gewesen«, fragte er laut und deutete dabei auf Sacco, der das Verhör schweigend verfolgte, »oder ist er es nicht gewesen?« De Berardinis schaute für Sekunden hinüber zu dem vergitterten Stahlkäfig, dann wandte er sich Williams zu und antwortete zögernd: »Ich bin nicht sicher, daß es dieser Mann ist.«

Katzmann und sein Stellvertreter Williams hatten an diesem Verhandlungstag anfänglich wenig Glück mit ihren Zeugen. Weder Wade noch De Berardinis machten eindeutige Aussagen, die Sacco als einen der Banditen identifizierten. Das aber sollten die zwei nächsten Zeuginnen der Anklage, Mary E. Splain und Frances Devlin, nachholen. Beide hatten im zweiten Stock des Slater & Morrill-Fabrikgebäudes gearbeitet, als sie am Tage der Tat Schüsse hörten. Sie liefen ans Fenster und sahen einen Buick davonfahren. Mary Splain identifizierte Sacco als einen der Männer im Auto, und dies, obwohl der Mann kaum vier Sekunden lang in ihrem Blickfeld und die Straße zwanzig Meter von ihr entfernt gewesen war. Vor Gericht machte sie folgende Aussage:

»Der Mann, der zwischen dem Rücken der Vordersitze und dem Hintersitz auftauchte, war groß. Er wog ungefähr 140 bis 146 Pfund. Er war muskulös, ein aktiv aussehender Mann. Seine linke Hand war ziemlich groß und kräftig.«

Frage: »Wo sahen Sie diese Hand?«

Antwort: »Es war die linke Hand. Sie lag auf dem Rücken des Vordersitzes. Der Mann hatte ein graues oder graublaues Hemd an und ein gutgeschnittenes Gesicht. An dieser Stelle [sie zeigt es] war es etwas schmaler. Das Haar war zurückgekämmt und zwischen fünf und sechs Zentimeter lang. Er hatte dunkle Augenbrauen und einen weißen Teint, eine besondere Art von Blässe, die fast grünlich wirkte.«

Frage: »War das derselbe Mann, der Ihnen in Brockton gezeigt worden ist?«

Antwort: »Ja.«

Frage: »Sind Sie sicher?«

Antwort: »Unbedingt.«

So steht es in dem Prozeßprotokoll, das bis zum Ende des Prozesses auf insgesamt 2266 Seiten anschwellen sollte.

Saccos Verteidigung war überrascht, denn bei der Vorverhandlung war die Zeugin nicht in der Lage gewesen, Sacco mit letzter Sicherheit als einen der Räuber zu identifizieren. Damals, unmittelbar nach seiner Verhaftung, war Sacco unter Verletzung der entsprechenden Polizeivorschriften Mary Splain allein gegenübergestellt worden. Trotzdem hatte sie damals gesagt: »Ich glaube, ich kann nicht sagen: Das ist der Mann.«

Jetzt aber, nach einem Jahr, wollte sie Sacco eindeutig erkannt haben. Als Verteidiger Moore sie auf den Widerspruch zwischen ihrer Aussage von damals und ihrer Gewißheit jetzt im Prozeß hinwies, behauptete sie, ihre Aussagen seien damals von den Gerichtsstenografen falsch festgehalten worden. Später hat Dr. Morton Prince, ein Psychologe, der an der Harvard-Universität lehrte, zur Aussage der Zeugin Splain folgendes geschrieben:

Ich zögere nicht festzustellen, daß die Kronzeugin der Anklage ehrlich genug das aussagte, was andererseits psychologisch unmöglich ist. Miß Splain hat den Banditen für den Bruchteil eines Augenblicks über eine Entfernung von ungefähr zwanzig Meter hin in einem Auto, das mit zunehmender Geschwindigkeit ungefähr 15 bis 18 Meilen in der Stunde fuhr, gesehen. Was sie sah, daran erinnerte sie sich nach einem Jahr und beschrieb 14 verschiedene Einzelheiten dieser Person, bis hin zu der Größe seiner Hand, der Länge seines Haares und der Farbe seiner Augenbrauen.



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